Gedenktafel zur Erinnerung an zwei Inhaftierte der JVA Wittlich während des 2. Weltkrieges, die dem NS-Regime zum Opfer fielen

Am 22. Februar 2014 wurden vor der Pforte der JVA Wittlich messingbeschlagene, ins Pflaster eingelassene Steine (sog. Stolpersteine) verlegt, um zweier Menschen, Jean Daligault und Karl-Heinz Scheurer zu gedenken, die während des 2. Weltkrieges in der JVA Wittlich inhaftiert waren und später dem NS-Regime zum Opfer fielen. Am 26.Januar 2018 wurde nun im Rahmen einer kleinen Feierstunde in Anwesenheit von Dieter Burgard, Bürgerbeauftragter des Landes Rheinland-Pfalz und Beauftragter für die Landespolizei, Elfriede Marmann, Beigeordnete der Stadt Wittlich, Brigitte Coen, Landesbetrieb Liegenschafts- und Baubetreuung (Landesbetrieb LBB) sowie Rechtsanwalt Thomas J. Miller und Stefan Endres von der Georg-Meistermann-Gesellschaft ergänzend eine Gedenktafel mit den Biografien von Jean Daligault und Karl-Heinz Scheurer im Bereich des Besuchereingangs der JVA Wittlich eingeweiht.

Herr Burgard, zugleich Vorsitzender des Fördervereins Gedenkstätte KZ Hinzert e.V. und Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in Rheinland-Pfalz, würdigte in seiner Rede die Initiatoren der Gedenktafel, insbesondere den Historiker Dr. Thomas Schnitzler aus Trier, der die Biographien zusammengestellt hat:

„Stolpersteine sind kleine Erinnerungsmahnmale. Sie bedürfen auch der Information. Dies geschieht meist durch Broschüren oder Internet-Veröffentlichungen oder Facharbeiten von Schülern. Hier haben wir mit direkten Informationen vor Ort, die Thomas Schnitzler zusammenstellte, ein sehr gutes Beispiel, wie es gelingen kann, das Mahnen mit der Information zu verbinden. Der JVA Leitung, hier besonders Herrn Patzak, bin ich dankbar für das Interesse und die Umsetzung dieser Tafeln. Eine Aufgabe ist es, auch im Jahr 2018 nicht neue Denkmäler zu setzen, sondern wir setzten die Steine zum Prozess des Erinnerns, Trauerns, des Erkennens der Bedeutung damals und für die Zukunft. Einbezogen werden alle NS-Opfergruppen, nicht nur jüdische Opfer und heute gerade die eher vergessenen Opfer. Heute danke ich auch nochmals der Initiative der Georg-Meistermann-Gesellschaft, die mit den ausgewählten Menschen, in deren Gedächtnis die Steine verlegt sind, auch an Insassen der Haftanstalt und politisch Andersdenkende, ja auch Menschen mit Behinderung als Opfer der NS Diktatur erinnern.“

Rechtsanwalt Thomas J. Miller, Vorstand der Georg-Meistermann-Gesellschaft, hob in seinem Grußwort die Bedeutung der Stolpersteine und der neu angebrachten Gedenktafel hervor:

„Die Georg-Meistermann-Gesellschaft sieht in den vor der Außenpforte der Justizvollzugsanstalt verlegten Stolpersteinen und der Gedenktafel mit den Biografien von Jean Daligault und Karl-Heinz Scheurer einen wichtigen Beitrag der Erinnerungsarbeit. Mit den Stolpersteinen, jeder für sich ein kleines Monument, dennoch alles andere als monumental, wird in würdiger Weise dem persönlichen Schicksal der ehemaligen Insassen Daligault und Scheurer erinnert. Denn Erinnerung ist dann wirkungsvoll, wenn sie vor Ort geschehen kann und mit konkreten Schicksalen unmittelbar verbunden ist. Nur so verliert das Unfassbare der Naziverbrechen seine Unfassbarkeit.“

Auf der Gedenktafel sind die Biographien von Jean Daligault und Karl-Heinz Scheurer wie folgt dargestellt:

Jean Daligault

Jean Daligault wurde am 4. Juni 1899 in der französischen Stadt Caen geboren. Nach dem Theologiestudium und der Priesterweihe betreute er als Vikar in der Normandie die katholischen Pfarrgemeinden von Vire, Trouville und Olendon. Wegen seines großen sozialen Engagements, insbesondere für die Jugend, die er für Theaterspiel, Modellieren und Zeichnen begeisterte, galt Jean Daligault als fortschrittlicher Priester. Ungewöhnlich an dem Priester Daligault war auch, dass er sich als freischaffender Maler und Bildhauer weitum hohe Anerkennung erwarb. Den Aufstieg des Nationalsozialismus in dem benachbarten Deutschen Reich beobachtete Daligault mit wachsender Sorge, seit er auf seinen Reisen nach München, Köln und Nürnberg die jubelnde Bevölkerung bei den Propagandaschauen des Regimes gesehen hatte. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1940 unterstützte er die französische „Resistance“ (geheimer Widerstand) gegen das Besatzungsregime. In Villerville wurde er am 31. August 1941 verhaftet und anschließend für ein Jahr in Paris unter Gefängnisarrest gestellt. Aufgrund des „Nacht- und Nebelerlasses“ (folgend NN) kam Daligault wegen „Widerstandes gegen die Besatzungsmacht“ mit einem Gefangenen-Sammeltransport am 11. Oktober 1942 in das SS-Sonderlager/KZ Hinzert. Dort begann er heimlich auf Bildzeichnungen und Mini-Skulpturen seinen Leidensweg als Zwangsarbeiter und Häftling zu dokumentieren. Bedingt durch den Essensentzug, die Kälte und die Hygienemängel erkrankte Daligault an einer schweren Tuberkulose. Nach seiner Entlassung aus Hinzert erwartete Daligault in den Strafanstalten von Trier, Wittlich (1943: 25. März bis 6. Mai und 10. Juli bis 8. September) und Köln sein Strafverfahren vor dem Volksgerichtshof in Trier. Der Schuldspruch vom 29. November 1943 ist nicht überliefert; wohl aber die von Daligault heimlich gezeichneten Porträtbilder seiner Richter und auch sein letztes Selbstporträt als NNHäftling. Er übergab diese mit seinem gesamten Häftlingswerk dem Trierer Gefängnispfarrer Nikolaus Jonas zur vertraulichen Aufbewahrung. Am 18. August 1944 überstellte ihn die SS in das Zuchthaus nach München-Stadelheim. Im März oder April 1945 starb Jean Daligault im KZ Dachau kurz vor dessen Auflösung unter ungeklärten Umständen.

Karl-Heinz Scheurer

Karl-Heinz Scheurer wurde am 9. Februar 1916 in Koblenz geboren. Seine Eltern trennten sich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 und verließen Koblenz. Seinen Vater sah Karl-Heinz nicht mehr. Als er sechs Jahre alt war, verschwand auch die Mutter aus seinem Leben. Bei ihrer Auswanderung mit einem anderen Mann nach Ohio (USA) wollte sie ihren Sohn eigentlich mitnehmen. Doch Karl-Heinz blieb zurück im Haushalt bei seiner Großmutter in Koblenz, die das Sorgerecht über ihn bis zum Ende seiner Schulzeit behielt. Nach dem Abbruch einer Schlosserlehre und mehreren Diebstählen stellte die Jugendfürsorgebehörde 1931 den gerade erst Fünfzehnjährigen unter „staatliche Obhut.“ Als „Fürsorge-Zögling“ erlitt Scheurer in den Heil- und Jugendpflegeanstalten Solingen (1931-32), Waldbröl (1932-37), Andernach (Dezember 1937), Düren (Frühjahr 1938 u. Frühjahr 1940) und Waldheim (April 1940) die aus aktuellen Studien bekannten Drangsale eines Heimkindes seiner Zeit. Für die Anstaltsleiter war dieser Junge nichts weiter als „der typische Fürsorgezögling, dumm und frech in seinem Benehmen, aber zu lenken, wenn er fest angefasst wird“ (August 1934, Aktennotiz). Scheurers angeblich „angeborener Schwachsinn“ erschien ihnen allein wegen seiner zerrütteten Familienverhältnisse als zweifelsfrei erwiesen: „Ehe der Eltern geschieden, Vater lebt mit einer polnischen Frau, die Mutter hat einen Amerikaner geheiratet“, lautet eine diesbezügliche Aktennotiz (1932). 1935 veranlasste das Erbgesundheitsgericht Koblenz nach Anzeige des Heimleiters von Waldbröl gegen Scheurer die Zwangssterilisation. Bei der Operation durch seinen Anstaltsarzt (14.10.1935) erlitt er schmerzhafte Wund-„Vereiterungen“. Beinahe allwöchentlich musste der als aggressiv und sexuell übergriffig beschriebene Scheurer extrem gewaltsame Disziplinarmaßnahmen über sich ergehen lassen, unter anderem Zwangs-Ruhigstellen im Bett und Zwangsinjektionen von Beruhigungsspritzen. Bei einem endlich erfolgreichen seiner mehrfachen Ausbruchsversuche entwich Scheurer im Winter 1937 aus Waldbröl. Auf seiner vierwöchigen Flucht beging er in Koblenz einen Einbruchdiebstahl und belästigte eine Passantin sexuell. Nach seiner Verhaftung (17.12.1937) und der anschließenden Zwangseinweisung in Andernach verurteilte ihn das Landgericht Bonn am 26. August 1938 wegen „Notdiebstahls und versuchter Notzucht zu einer Gesamt-Gefängnisstrafe von einem Jahr und sechs Monaten“.

Zur Verbüßung seiner Strafe kam Scheurer am 27. August 1938 in die Strafanstalt nach Wittlich. In Anrechnung seiner Bonner Untersuchungshaft war die Haftzeit bis zum 27. Januar 1940 berechnet. Die auf jenen Termin zielende Hoffnung Scheurers auf baldige Rückkehr in die Freiheit erfüllte sich nicht. Gleich nach seiner Haftentlassung nahmen ihn zwei Polizeibeamte in Gewahrsam und brachten ihn mit einem Dienstwagen zur weiteren Anstaltsverwahrung zurück nach Düren. Beim Wiedereintritt in die Heil- und Pflegeanstalt erklärte Scheurer, mehr aus Gehorsamspflicht denn aus Überzeugung, „er sei froh, dass er wieder hier sei.“ Unterwegs hätte „er sich vorgenommen, sich hier sehr zusammenzunehmen, damit er nicht zeitlebens festgehalten werde.“ Für die Zeit nach seiner Entlassung könnte er sich vorstellen, „zum Militär zu kommen, jedenfalls sei er schon zweimal gemustert worden.“ Der Anstaltsarzt aber verwarf diesen Gedanken an eine mögliche Resozialisierung sogleich. In dem von ihm geführten Aufnahmeprotokoll bestätigte er Scheurers aktennotierten „früheren Befund“ über seinen angeblich „angeborenen Schwachsinn“. Mit diesem Erbkrankheitsbefund war Scheurers Schicksal besiegelt. Am 1. April 1940 fuhr ihn ein Sammeltransport mit 150 anderen Pflegepatienten nach Waldheim (Sachsen), der Zwischenanstalt der Tötungsanstalt Brandenburg-Görden. Mit einem weiteren Verlegungstransport kam Scheurer am 16. April 1940 in Brandenburg-Görden an. Er starb – wahrscheinlich noch am Einlieferungstage – in der anstaltseigenen Gaskammer.

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